„In meinem dritten Lebensjahr sah ich ein so großes
Licht, dass meine Seele erbebte, doch wegen meiner Kindheit konnte ich
mich nicht darüber äußern.
Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr sah ich vieles, manches erzählte ich
einfach, so dass die es hörten, sich wunderten, woher es käme und von wem
es sei. Da wunderte ich mich auch selbst. Während ich tief in meiner Seele
schaute, behielt ich doch das äußere Sehvermögen. Darauf verbarg ich die
Schau, die ich in meiner Seele sah, so gut ich konnte."
Als Hildegard zweiundvierzig Jahre alt war, sah sie plötzlich einen
überhellen Glanz: „Aus dem offenen Himmel fuhr blitzend ein feuriges Licht
hernieder. Es durchdrang mein Gehirn und setzte mein Herz und die ganze
Brust wie eine Flamme in Brand. Es verbrannte nicht, war aber heiß wie die
Sonne den Gegenstand erwärmt, auf den ihre Strahlen fallen. Plötzlich
erhielt ich Einsicht.“
Ja, Kollegen, da haben wir es. Ein kluges Mädel, eine
Führungspersönlichkeit auch, die an ihrer geringen damaligen Schulbildung
vorbei zu wachsen imstande war. Sie konnte sich schließlich mitteilen, sie
floss hinaus mit vielen Unternehmungen und Worten, und wir kennen sie noch
heute.
Wegen der vielen Rückübersetzungen ihrer inneren Schau zum damaligen
Kirchengott, die Hildegard vornahm, befasse ich mich nicht groß mit ihr.
Aber sie ist mir im Wesen verständlich. "Wie wunderbar ist doch der Hauch,
der den Menschen zum Leben erweckte" ist ein schöner Satz von ihr.
"Ich hör die Engel klingen,
wie einst Hildegard von Bingen" |