Runen sind zunächst der
steckengebliebener Versuch einiger Völker außerhalb des römischen Reiches,
eine eigene Buchstabenschrift zu erstellen. Rings um die Germanen und die
Völker Richtung Skandinavien gab es zu der Zeit, als die ersten Runen
geritzt wurden, schon flüssige Buchstabenschriften. Von einer etruskischen
Schriftart und von den Buchstaben der phönizischen Urschrift ausgehend
wanderten die Runen wohl quer durch das Jahr Null bis zu den Nordvölkern -
geritzt in vergängliche Materialien. Bis heute erhaltene Runen finden
sich, zumeist auf Stein, ab etwa 150 nach Christus.
Damit eine Schrift flüssig von der Hand geht, damit es über ein paar Sätze
auf Grabsteinen hinausgeht, braucht es Unterlagen, in die hinein flott
geschrieben werden kann. Bei den Sumerern wurde die Keilschrift ab 5000
vor Christus in weichen Ton gedrückt. Bei den Griechen lernten die Schüler
ab 1000 vor Christus auf Wachstafeln. Anderswo gab es Kreidetafeln, und
wer dann genug geübt hatte, konnte auf papierähnliches Material schreiben.
Das fehlte den Germanen. Runen sind erkennbar für langsames Schreiben
gebaut: Jeder Buchstabe 10 Sekunden. In Stöcke, Holzflächen, Knochen,
Fischgräten und Stein wurde geritzt. Mit kleinen Holzstäbchen konnten
Runen auch gelegt werden. Nur wenige übten sich darin, Runen als
Buchstaben zu lesen. Nur in Südskandinavien dienten Runen als Buchstaben
rund um 1150 nach Christus kurz der schriftlichen Alltagskommunikation.
Der Druck des Volkes bestand und besteht, Runen wie Hieroglyphen zu
handhaben: Jede Rune trägt die Botschaft des ihr gegebenen Namens. Damit
aus Hieroglyphen Sätze entstehen, benötigt eine Kultur aber 500 bis 5000
Hieroglyphen. Die 24 verschiedenen Runen des älteren "Futhark"-Alphabets,
abgelöst vom Versuch, Buchstaben darzustellen, führen zu Deutungen im Stil
des Kartenlegens: Lege eine Abfolge von Karten, hier also von Runen, hin
und schau, wohin die Reise geht.
Der Charme der Runen liegt darin, dass die Germanen und Nordvölker Europas
mehr nicht zu leisten schafften: Nur über Runen kann sich "der Germane"
heute noch irgendwie mitteilen. Retro-Bewegungen - "zurück zu den Mythen
und der Kultur der heidnischen Völkern Europas" arbeiten sich also deutend
an Runen ab.
Ich habe Deutungsbücher über Runen
gelesen und amüsiere mich: Falls bei der Runen-Auslegung etwas überlebte
trotz 1500 Jahre Auslöschung durch christliche Eiferer, ist es nicht zu
unterscheiden von neu hinzugedichtetem Inhalt. In solcher Situation sitze
ich nun als Wahrsager, der dem Heidentum zugeneigt ist. Also gerne lege
ich und deute ich euch Runen. Aber ich erlaube mir, naiv heran zu treten:
Die puren 24 Runen des älteren "Futhark" sprechen zu mir. Wir schieben
Berichte anderer, was sie bedeuten könnten, fort. Wir schauen uns diese
Zeichen an - und sie sprechen direkt zu mir.